Antragsteller*in: | Die Erstunterzeichner*innen (dort beschlossen am: 06.11.2023) |
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Status: | Unterstützer*innen sammeln (Berechtigung: Grünes-Netz-Nutzer*innen) |
A1: Zurück zu den Grünen: Offener Brief für wertegeleitete bündnisgrüne Politik und gelebte Basisdemokratie
Antragstext
Zurück zu den Grünen: Offener Brief für wertegeleitete bündnisgrüne Politik und gelebte Basisdemokratie
Lieber Bundesvorstand, liebe grüne Minister*innen, liebe Verantwortungsträger*innen in unserer Partei,
wir sind Mitglied bei den Grünen geworden, weil die Partei eine große Hoffnungsträgerin in vielen Hinsichten für viele von uns war. Einige von uns haben Fridays for Future Demonstrationen organisiert, andere kamen aus Menschenrechts- und Migrationsinitiativen oder sind beigetreten, weil ihnen Themen wie Feminismus und Tierschutz wichtig sind. Wir sind beigetreten, weil wir daran glauben, dass eine andere Politik in Deutschland und weltweit möglich ist – eine Politik, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt. Eine Politik der Solidarität, Menschlichkeit und Mitbestimmung. Eine Politik, die die unzähligen Krisen, in denen wir aktuell stecken, an der Wurzel anpackt und das Leben für Menschen wirklich verbessert. Weil wir uns sicher sind, dass „Basisdemokratie“ nicht nur ein Wort ist, sondern gelebt werden muss.
Hoffnungsträgerin war die Partei auch vor drei Jahren, als wir gemeinsam historisch hohe Ergebnisse bei der Bundestagswahl erkämpft haben und Regierungspartei wurden. Endlich eine Partei in der Regierung, die die Klimakrise ernst nimmt, die wertebasierte Migrationspolitik vorantreibt und wirklich einen Unterschied macht.
Dachten wir.
Dann kam die Entscheidung zu Lützerath, kamen die 100 Milliarden für die Bundeswehr, kam GEAS. Es kam eine Kindergrundsicherung, die effektiv keinem Kind aus der Armut helfen wird, ein Bundeshaushalt, der insbesondere an der Jugend sparen wollte. Es kam ein zu kompliziertes, zu niedriges Bürgergeld. Die Sektorziele im Klimaschutzgesetz sollen abgeschafft werden. Abschiebegesetze werden verschärft. Oft haben wir gedacht, dass Kompromisse in einer Koalition natürlich notwendig sind und nicht immer das Maximum an grünen Forderungen durchgesetzt werden kann. Schockiert waren wir dann aber – bei jedem dieser Themen – als versucht wurde, die getroffenen Kompromisse von grüner Seite aus als Erfolg zu verkaufen. Geschockt sind wir immer noch jedes Mal aufs Neue, wenn das Untergraben von Klimazielen, von Menschenrechten in der Asylpolitik oder das Ausbleiben von wirklichen sozialpolitischen Verbesserungen mit ein paar türkisgrünen Info-Slides und rosigen Worten verteidigt wird. Manchmal erscheint es uns, als ob die Grünen von einer Partei für echte Veränderung zu einer Werbeagentur für schlechte Kompromisse geworden sind. Manchmal sprechen wir von der „SPD-isierung der Grünen“ und meinen damit, dass die Grünen auf Bundesebene wie eine Partei wirken, die alles mitträgt – egal, wie sehr es eigenen moralischen und politischen Grundsätzen zuwiderläuft – um zu regieren.
Besonders besorgniserregend ist das im Blick auf den gesellschaftlichen Rechtsrutsch, den wir aktuell beobachten. Auch hier sind wir Bündnisgrünen Hoffnungsträgerin für eine Politik, die dem die Stirn bietet. Doch statt die Narrative der Rechten zu entkräften, machen wir das, wofür wir die CDU und SPD immer kritisiert haben: Wir gehen die Schritte der Verschiebung mit. Um den Rechten vermeintlich “den Wind aus den Segeln zu nehmen”, machen wir ihre Migrationspolitik für sie und übernehmen gefährliche, teils verdeckt rassistische, Diskursmuster. Damit verlieren wir unseren Kompass und unsere Glaubwürdigkeit einer Partei, denen Menschenrechte tatsächlich wichtig sind. Denn nun scheinen Menschenrechte Verhandlungsmasse zu sein, die dann doch aufgegeben wird – aber immerhin mit Bauchschmerzen.
Wir haben uns immer als Partei verstanden, die gemeinsam mit Gewerkschaften, mit der Klima- und Umweltbewegung, mit migrantischen Organisationen und vielen weiteren Akteur*innen der demokratischen Zivilgesellschaft für Veränderungen streitet. Es sollte uns zu denken geben, dass die Kritik an unserer Partei aktuell genau von diesen Verbänden, Vereinen und Initiativen immer lauter wird.
Zur Enttäuschung gehört auch der Umgang mit den eigenen Mitgliedern, denn die oben genannten Werbeslides richten sich auch immer an uns. Uns kommt es immer häufiger so vor, als ob es keinen Raum mehr für Kritik oder konstruktive Debatte gibt. Es wird immer häufiger von uns verlangt, Kompromisse im Nachhinein zu schlucken. Wenn der Druck doch einmal zu groß wird, gibt es ein moderiertes Zoomformat mit Fragen, bei dem uns nochmal erklärt wird, weshalb etwas gut ist und ein paar beschwichtigende Worte.
Die grundlegenden Beschlüsse unserer Partei, insbesondere das Grundsatzprogramm, sollten politische Leitlinien für den Bundesverband sein. Grade beim Grundsatzprogramm konnten wir Mitglieder in verschiedenen Foren in einem mehrjährigen Prozess mitwirken. Der Bundesvorstand hat aus unserer Sicht die Aufgabe, diese Beschlüsse nach außen zu vertreten und den innerparteilichen Diskurs zu moderieren. Von den Kompromissen in der Bundesregierung, von öffentlichen Positionierungen grüner Minister*innen und Verantwortungsträger*innen sowie Programmvorschlägen des Bundesvorstands zum Europawahlprogramm sehen wir diese Beschlüsse umgangen. Angebrachte Kritik an diesem Verhalten verpufft oft – sie wird “mit- und ernstgenommen”, bringt aber keine spürbaren Veränderungen.
Wir erwarten einen anderen Umgang mit den Basismitgliedern und der Kritik innerhalb der Partei. Bei richtungsweisenden Entscheidungen wünschen wir uns Mitsprachemöglichkeiten davor, statt einer Moderation der Mitglieder danach. Bei einer fundamentalen Ausrichtungsänderung wünschen wir uns mehr Einbindung als das Antragsverfahren eines Europawahlprogramms. Wir wünschen uns eine Parteispitze, die in Abgrenzung zur Regierung die Position der eigenen Mitglieder und Programme vertritt. Wir wünschen uns Ehrlichkeit, gegenüber uns als Mitgliedern aber auch bei der Kommunikation unserer Politik als Erfolg oder auch Misserfolg. Wir wünschen uns, dass “Bündnispartei” nicht eine leere Floskel bleibt, sondern die Kritik unserer Bündnispartner*innen ernst genommen wird. Denn die Kritik, die in den letzten Monaten immer wieder von progressiven Verbänden, Vereinen und Organisationen kommt, zeigt, dass unsere Partei weiterhin Hoffnungsträgerin ist. Dieser Verantwortung kommen wir derzeit aber nicht nach und laufen Gefahr, das übrige Vertrauen in uns zu verspielen.
Vor allem wünschen wir uns aber eins: Grüne Politik. Wir wünschen uns, dass das wofür wir eingetreten sind, viel Freizeit opfern, uns an Ständen bepöbeln lassen und jeden Tag kämpfen, im Zentrum unserer Politik steht und nicht aufgegeben wird. Wir sind bereit für Kompromisse, wir sind aber nicht bereit unsere Grundwerte aufzugeben. Wir wünschen uns eine Politik, in der wir als gestaltende progressive Kraft auftreten und nicht zu einem Regieren um des Regierens Willen verkommen.
Wir brennen weiterhin für unsere Themen. Wir kämpfen vor Ort für wertebasierte Asylpolitik, für konsequenten Klimaschutz oder echte Umverteilung und gerechte Arbeitsbedingungen für alle. Aber brennen die Grünen noch für diese Themen? Viele engagierte Mitglieder, die sich seit Jahren vor Ort, im Verband, in Kommunalparlamenten oder auf der Straße für unsere Themen einsetzen verlieren die Motivation. Einige formulieren gedanklich Austrittserklärungen oder haben diese sogar schon geschrieben. Damit droht die Abkehr von Vielen, die unverzichtbar sind für das Umsetzen unserer grünen Programmatik und der Visionen, die sie als Lebensgrundlage kommender Generationen in sich trägt!
Lasst grüne Grundwerte und -Ideen wieder zur Leitlinie unseres politischen Handelns werden und lasst uns gemeinsam daran arbeiten, dass diese Partei wieder zu jener leidenschaftlichen Kraft für positive Veränderungen wird, die wir so dringend benötigen. Als Mitglieder erwarten wir dafür nicht nur politische Kurskorrekturen, sondern auch einen ehrlichen Dialog, der den Grundwerten unserer Partei treu bleibt, die Mitglieder mitnimmt und uns als glaubwürdige Bündnispartei stärkt.
Unterstützer*innen
Änderungsanträge
- 71357 (Thomas Schaefer, Eingereicht)